Ob Alkoholabhängigkeit, Rauchen oder Kaufsucht: Das körpereigene Belohungssystem spielt bei der Entstehung von Süchten eine wichtige Rolle. Lesen Sie, was dabei passiert und woran Sie erkennen, ob eine schlechte Angewohnheit schon zur Sucht geworden ist.
Besonders fatal ist die Abhängigkeit von Alkohol und Drogen. Aber auch andere Stoffe oder Verhaltensweisen können süchtig machen. Schätzungen zufolge haben 90 Prozent der Menschen etwas, worauf sie nicht mehr verzichten können: Schokolade, Kaffee, Nikotin, Glücksspiel, Internet oder Einkaufen – die Liste ist lang. Nicht immer wird das zum Problem, aber gerade Alkohol, Zigaretten oder Drogen lassen viele Betroffene nicht mehr los.
Wie entsteht Sucht? Gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind? Wissenschaftler gehen heutzutage davon aus, dass Belohungsmechanismen im Gehirn eine wichtige Rolle spielen.
Fehlsteuerung des Belohnungssystems
Etwas vereinfacht erklärt wird die Abhängigkeit von einem Stoff oder einem Verhalten durch eine Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn hervorgerufen. Dinge, die wir Menschen als positiv wahrnehmen – ein Lächeln oder Lob, Essen oder Einkaufen – führen dazu, dass im Gehirn vermehrt Hormone wie Dopamin ausgeschüttet werden, die uns Glück oder Euphorie empfinden lassen. Alkohol und anderen Rauschmittel können ebenfalls zu einer solchen Hormonausschüttung führen. Wird das, was uns so glücklich macht, regelmäßig konsumiert, gewöhnt sich der Körper an den erhöhten Hormonspiegel und das hormonelle Gleichgewicht im Gehirn verschiebt sich. Zusätzlich sinkt die körpereigene Hormonproduktion, was die Stimmungslage weiter verschlechtert. Der Drang, das Suchtmittel wieder zu konsumieren, wird immer stärker. Das Gehirn verlangt nach mehr.
Botenstoffe im Gehirn spielen eine Rolle bei der Entstehung von Süchten „Das menschliche Belohnungssystem ist an sich eine geniale, das Überleben sichernde Erfindung der Natur, weil es Verhaltensweisen fördert, die gut für uns sind“, sagt Dr. Monika Vogelgesang, Chefärztin der AHG Klinik Münchwies, einem Zentrum für Suchtmedizin im Saarland, und Vorstandsmitglied im Fachverband Sucht e. V. Wir essen zum Beispiel nicht nur aus Hunger, sondern weil es angenehm für uns ist.
Doch gerade Stoffe mit Suchtpotenz wie Alkohol, Zigaretten oder Drogen lösen einen sehr starken – einen sogenannten Ultrareiz aus – der dazu führt, dass alle anderen positiven Reize dagegen verblassen. Die eigentlich überlebensfördernde Wirkung des Belohnungssystems verkehrt sich ins Gegenteil. „Anders als bei nicht süchtig machenden Substanzen tritt bei Suchtmitteln keine Sättigung ein. Das Belohnungssystem will immer mehr“, erklärt die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. Aber auch Stoffe ohne Suchtpotenz wie Schokolade oder Essen allgemein, sowie Verhaltensweisen wie Einkaufen, Surfen im Internet oder Glücksspiele können diese Wirkung auf das Belohnungssystem haben. Sie lösen zwar keine körperliche Abhängigkeit aus, wohl aber das Verlangen nach mehr und so in gewissem Sinne eine Sucht.
Beim regelmäßigen Konsum berauschender Substanzen kommt es teilweise zu einer weiteren Veränderung im Gehirn, da sich die Gehirnchemie der Zufuhr der Droge anpasst. Beispiel Alkohol: Er verändert mit seiner beruhigenden Wirkung das Verhältnis zwischen dämpfenden und aktivierenden Botenstoffen. Das Gehirn strebt jedoch nach einer optimalen Balance. Wird häufig Alkohol konsumiert, setzt im Gehirn daher die aktivierende Gegenregulation ein. „Das bedeutet, dass die ursprünglich beruhigende Wirkung des Alkohols abgemildert wird“, sagt Vogelgesang. Um die gleiche Wirkung zu erzielen, muss der Mensch folglich immer mehr trinken. Das führt einerseits zur Toleranzentwicklung gegenüber der Droge, andererseits zur Steigerung der Dosis. Hat sich das Gehirn erst einmal auf die Zufuhr von Alkohol eingestellt, reduziert es die Eigenproduktion von dämpfenden Botenstoffen. Bei plötzlicher Abstinenz überwiegen daher die erregenden Mechanismen. Der Körper braucht Alkohol, um wieder ein angenehmes Gleichgewicht zu erlangen, andernfalls kommt es zu Entzugserscheinungen wie Zittern, Schwitzen, Krampfanfällen, Wahrnehmungsstörungen bis hin zum Delirium tremens.
Das Gehirn muss erst wieder lernen, selbst ausreichend dämpfende Botenstoffe bereitzustellen. Erst nach etwa ein bis drei Wochen hat der Körper wieder ein gesundes Gleichgewicht erreicht, der körperliche Entzug ist vorüber. „Wenn ein trockener Alkoholiker selbst nach längerer Abstinenz wieder zu trinken anfängt, springt die aktivierende Gegenregulation jedoch schnell wieder an“, erklärt die Suchtexpertin. Darum ist ein kontrollierter Konsum für einen ehemals Süchtigen kaum möglich.
Welche Menschen sind besonders suchtgefährdet?
Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch kann von einer Substanz abhängig werden. Auf das Suchtrisiko eines Menschen haben viele Faktoren einen Einfluss. Das beginnt ganz banal damit, wie gut der Einzelne die potenziell süchtig machende Substanz verträgt. Bleiben wir beim Beispiel Alkohol. Jeder Mensch empfindet die Wirkung anders: Der eine wird lustig, der andere wird müde oder gar melancholisch. „Je angenehmer die Wirkung ist und je besser der Einzelne die körperlichen Folgen eines Rausches verträgt, desto höher ist die Gefahr eines Missbrauchs“, sagt Suchtexpertin Vogelgesang. Eine typische Suchtpersönlichkeit gebe es aber nicht, selbst gefestigte Charaktere können aufgrund traumatischer Erlebnisse in eine Abhängigkeit rutschen.
Kinder von Alkoholikern haben wahrscheinlich ein höheres Risiko, ebenfalls alkoholabhängig zu werden. „In dieser Personengruppe ist die Alkoholikerquote deutlich höher“, spricht Vogelgesang aus Erfahrung. Mehr noch als genetische Faktoren spielen dabei negative Erfahrungen in der Kindheit eine Rolle und die falsche Vorbildfunktion der Eltern. „Diese Kinder müssten viel besser psychologisch betreut werden“, fordert die Suchtexpertin. Die genetische Komponente sollte nicht überbewertet werden. Jeder Mensch hat genetisch gute und schlechte Karten – entscheidend ist, was er oder sie daraus macht.
Schätzungen zufolge sind 2,4 Prozent der Deutschen alkoholabhängig Wann beginnt die Sucht?
Worauf können Sie nicht verzichten? Kaffee, Cola oder Schokolade? Ein Laster hat wohl jeder. Gegen den täglichen Besuch im Internet spricht erst einmal nichts, genauso wenig wie gegen regelmäßig Schokolade (solange das nicht zu Übergewicht führt). Doch die Grenze ist fließend. Gerade bei ernsten Suchtmitteln wie Alkohol ist es ein schmaler Grat vom unschädlichen Konsum zum Missbrauch. Bei Männern besteht ein riskanter Alkoholkonsum bereits bei 30 Gramm Alkohol am Tag, bei Frauen bei 20 Gramm Alkohol täglich. Zum Vergleich: 0,1 Liter Wein enthält etwa 8 Gramm Alkohol.
Man unterscheidet zwischen Risikokonsum, schädlichem Konsum und Missbrauch beziehungsweise Abhängigkeit. Von Letzterer spricht man, wenn drei der folgenden offiziellen Diagnose-Kriterien erfüllt sind.
1. Starker Drang, das Suchtmittel zu konsumieren
2. Verlust über die Kontrolle des Konsums
3. Entzugssymptome sowie Substanz-Konsum, um diese Symptome zu lindern oder zu vermeiden
4. Toleranzentwicklung, das heißt, dass eine zunehmend höhere Dosis für die gleiche Wirkung benötigt wird
5. Reduzierung anderer Interessen und ein eingeengtes Verhaltensmuster, um das Suchtmittel regelmäßig konsumieren zu können
6. Fortführung des Konsums trotz des Wissens um negative körperliche, psychische oder soziale Konsequenzen
Sie finden auf unseren Seiten zahlreiche Informationen zu verschiedenen Sucht- und suchtähnlichen Erkrankungen. So zum Beispiel in unserem Ratgebern zum Thema Alkohlabhängigkeit oder Nikotinabhängigkeit.